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Archivgesetz der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

vom 26. April 1997

KABl. S. 177

Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck hat am 26. April 1997 in Hofgeismar das folgende Kirchengesetz beschlossen:
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Allgemeine Bestimmungen

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§ 1
Geltungsbereich

( 1 ) Dieses Kirchengesetz regelt den Umgang mit kirchlichem Archivgut für die Landeskirche und die kirchlichen Körperschaften in der Landeskirche so wie deren Werke und Einrichtungen.
( 2 ) Es gilt entsprechend für die kirchlichen Werke, Einrichtungen und Stiftungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, soweit die zuständigen Organe seine Übernahme beschlossen haben und das Landeskirchenamt zugestimmt hat.
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§ 2
Archivgut

( 1 ) Kirchliches Archivgut (Archivgut) sind alle archivwürdigen Unterlagen der kirchlichen Stellen, die zur dauernden Aufbewahrung in ein Archiv übernommen worden sind. Unterlagen im Sinne dieses Kirchengesetzes sind Akten, Amtsbücher, Urkunden, Handschriften und andere Schriftstücke, Dateien, amtliche Druckschriften, Pläne, Karten, Plakate, Siegel, Petschafte, Bild-, Film- und Tonaufzeichnungen und sonstige Informationsträger einschließlich der auf ihnen überlieferten oder gespeicherten Informationen sowie der Hilfsmittel für ihre Ordnung, Benutzung und Auswertung.
( 2 ) Als Archivgut gelten auch archivwürdige Unterlagen, die die kirchlichen Archive zur Ergänzung ihres Archivgutes erworben oder übernommen haben oder die ihnen durch Dauerleihvertrag übergeben worden sind (Deposita).
( 3 ) Archivwürdig sind Unterlagen, die aufgrund ihrer kirchlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Bedeutung für die Erforschung und das Verständnis von Geschichte und Gegenwart, für die kirchliche Rechtsetzung, Rechtsprechung und Verwaltung von bleibendem Wert sind oder für die Rechtswahrung sowie aufgrund von Rechtsvorschriften dauernd aufzubewahren sind.
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Archive der Landeskirche und kirchlicher Körperschaften

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§ 3
Kirchliche Archive

( 1 ) Das Landeskirchliche Archiv ist eine nicht rechtsfähige Einrichtung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.
( 2 ) Die kirchlichen Körperschaften in der Landeskirche treffen im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit die notwendigen Maßnahmen zur Archivierung des Archivgutes, das bei ihren Organen, Werken und Einrichtungen entstanden ist. Sie können gemeinsame Archive mit anderen Rechtsträgern errichten. Sofern sie kein eigenes Archiv unterhalten, bieten sie ihre Unterlagen dem Landeskirchlichen Archiv zur Archivierung an. Sie sind berechtigt, vom Landeskirchlichen Archiv die Rückgabe ihres Archivgutes zu verlangen sobald sie ein eigenes Archiv errichtet haben.
( 3 ) Das Landeskirchenamt sowie die kirchlichen Körperschaften führen die Aufsicht über die ihnen unterstellten Archive. Das Landeskirchliche Archiv übt im Auftrag des Landeskirchenamtes die Fachaufsicht über das Archivwesen und die Archivpflege in der Landeskirche aus.
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§ 4
Aufgaben der kirchlichen Archive

( 1 ) Die kirchlichen Archive haben die Aufgabe, in Mitverantwortung für das kulturelle Erbe und im Bewusstsein der rechtlichen Bedeutung sowie des wissenschaftlichen, geschichtlichen und künstlerischen Wertes das Archivgut nach Maßgabe dieses Kirchengesetzes zu übernehmen, auf Dauer aufzubewahren, zu sichern, zu erschließen und nutzbar zu machen.
( 2 ) Das Archivgut der Landeskirche sowie ihrer Werke und Einrichtungen wird von dem Landeskirchlichen Archiv nach Maßgabe dieses Kirchengesetzes archiviert.
( 3 ) Das Landeskirchliche Archiv berät die kirchlichen Körperschaften bei der Verwaltung und Sicherung ihrer Unterlagen im Hinblick auf eine spätere Archivierung.
( 4 ) Bei unmittelbar drohender Gefahr für Archivgut kann das Landeskirchliche Archiv die zur Sicherung notwendigen Maßnahmen treffen.
( 5 ) Das Landeskirchliche Archiv wirkt an der Auswertung und Vermittlung des von ihm verwahrten Archivgutes mit. Es nimmt Aufgaben im Rahmen der archivarischen Aus- und Fortbildung wahr.
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§ 5
Aussonderung und Anbietung von Archivgut

( 1 ) Die Landeskirche und die kirchlichen Körperschaften sind verpflichtet, alle Unterlagen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigt werden, unverzüglich auszusondern und ihrem zuständigen Archiv unverändert zur Übernahme anzubieten. Dies soll im Regelfall spätestens 30 Jahre nach Entstehen der Unterlagen erfolgen. Das Nähere kann durch Aktenordnung geregelt werden.
( 2 ) Das Landeskirchliche Archiv kann Unterlagen, deren Aufbewahrungsfrist noch nicht abgelaufen und die noch nicht archivisch bewertet sind, befristet übernehmen. Die aktenführende Stelle bleibt für die Unterlagen verantwortlich.
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§ 6
Archivwürdigkeit

( 1 ) Das Archiv entscheidet über die Archivwürdigkeit der Unterlagen, die ihm angeboten werden, und über deren Übernahme in das Archiv.
( 2 ) Den Mitarbeitern des Archivs wird hierzu Einsicht in die angebotenen Unterlagen und die Findmittel der Registratur gewährt.
( 3 ) Bei gleichförmigen Unterlagen können Auswahlverfahren angewandt werden.
( 4 ) Das Archiv vernichtet die übernommenen Unterlagen, sofern sie nicht archivwürdig sind. Die Vernichtung von Unterlagen der Archive der kirchlichen Körperschaften sowie deren Werke und Einrichtungen ist nur mit Zustimmung des Landeskirchlichen Archivs zulässig.
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§ 7
Erschließung und Sicherung des Archivgutes

( 1 ) Archivgut ist unveräußerlich.
( 2 ) Die kirchlichen Archive ordnen das Archivgut nach archivwissenschaftlichen Gesichtspunkten und erschließen es durch Findmittel. Zu ihrer Unterstützung können Archivpfleger bestellt werden.
( 3 ) Die Träger der kirchlichen Archive treffen die notwendigen Maßnahmen, um die dauernde Aufbewahrung, Erhaltung und Benutzbarkeit des Archivgutes sowie seinen Schutz vor unbefugter Benutzung oder Vernichtung sicherzustellen.
( 4 ) Das Archivgut darf zu seiner Erschließung in maschinenlesbarer Form erfasst und gespeichert werden.
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Benutzung des Archivgutes

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§ 8
Allgemeines

( 1 ) Archivgut ist öffentlich zugänglich nach Maßgabe dieses Kirchengesetzes.
( 2 ) Jede Person, die ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, hat das Recht, Archivgut nach Maßgabe dieses Kirchengesetzes zu benutzen. Besondere Vereinbarungen mit Eigentümern von privatem und öffentlichem Archivgut und testamentarische Bestimmungen bleiben unberührt.
( 3 ) Ein berechtigtes Interesse ist insbesondere gegeben, wenn die Benutzung zu kirchlichen, staatlichen, wissenschaftlichen, heimatkundlichen oder familienkundlichen Zwecken sowie zur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange beantragt wird.
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§ 9
Benutzung durch die abgebende Stelle

Kirchliche Stellen, bei denen das Archivgut entstanden ist, sowie deren zuständige Aufsichtsstellen haben ein uneingeschränktes Recht auf unentgeltliche Einsicht und Nutzung.
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§ 10
Schutzfristen

( 1 ) Archivgut wird im Regelfall 30 Jahre nach Entstehung der Unterlagen für die Benutzung freigegeben. Unterlagen, die einer besonderen Geheimhaltung bedürfen, können erst 60 Jahre nach ihrer Entstehung benutzt werden.
( 2 ) Unbeschadet dieser generellen Schutzfristen darf personenbezogenes Archivgut, das sich seiner Zweckbestimmung oder seinem wesentlichen Inhalt nach auf natürliche Personen bezieht, frühestens zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person benutzt werden. Ist der Todestag nicht festzustellen, endet die Schutzfrist 100 Jahre nach der Geburt der betroffenen Person. Ist auch das Geburtsjahr nicht bekannt, endet die Schutzfrist 60 Jahre nach Entstehen der Unterlagen. Bedarf das personenbezogene Archivgut einer besonderen Geheimhaltung, kann die Schutzfrist um 30 Jahre verlängert werden.
( 3 ) Die Schutzfristen nach den Absätzen 1 und 2 gelten nicht für Unterlagen, die bereits bei ihrer Entstehung zur Veröffentlichung bestimmt oder der Öffentlichkeit zugänglich waren. Amtsträger in Ausübung ihrer Ämter sind keine betroffenen Personen im Sinne des Absatzes 2.
( 4 ) Die festgelegten Schutzfristen können im Einzelfall verkürzt werden, wenn dies im kirchlichen Interesse liegt. Bei personenbezogenem Archivgut ist eine Verkürzung nur zulässig, wenn die Benutzung für ein bestimmtes Forschungsvorhaben erfolgt und schutzwürdige Belange der betroffenen Personen oder Dritter nicht beeinträchtigt werden oder das kirchliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens die schutzwürdigen Belange erheblich überwiegt. Eine Benutzung personenbezogener Akten ist unabhängig von den Schutzfristen auch zulässig, wenn die betroffene Person oder nach deren Tod deren Angehörige zugestimmt haben. Die Zustimmung ist von dem überlebenden Ehegatten, nach dessen Tod von seinen Kindern und wenn weder Ehegatte noch Kinder vorhanden sind, von den Eltern der betroffenen Personen einzuholen.
( 5 ) Die Verknüpfung personenbezogener Daten durch die kirchlichen Archive ist innerhalb der vorgenannten Schutzfristen nur zulässig, wenn schutzwürdige Belange betroffener Personen oder Dritter nicht beeinträchtigt werden.
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§ 11
Einschränkung der Nutzung in besonderen Fällen

Die Benutzung von Archivgut ist einzuschränken oder zu versagen, wenn
  1. Grund zu der Annahme besteht, dass der Landeskirche, der Evangelischen Kirche in Deutschland oder einer ihrer Gliedkirchen hierdurch wesentliche Nachteile entstehen,
  2. der Erhaltungszustand des Archivgutes einer Benutzung entgegensteht,
  3. Vereinbarungen entgegenstehen, die mit Eigentümern aus Anlass der Übernahme getroffen wurden.
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§ 12
Auskunfts- und Berichtigungsanspruch

( 1 ) Betroffenen Personen wird ohne Rücksicht auf die Schutzfristen in § 10 auf Antrag Auskunft über die im Archivgut zu ihrer Person enthaltenen Daten erteilt, soweit diese erschlossen sind. Statt einer Auskunft kann das Archiv Einsicht in die Unterlagen gewähren.
( 2 ) Ein aufgrund von Rechtsvorschriften bestehender Anspruch auf nachträgliche Berichtigung oder Löschung wird nach der Übernahme der Unterlagen in ein kirchliches Archiv dadurch erfüllt, dass die Berichtigung in Form einer schriftlichen Erklärung über den als richtig festgestellten Sachverhalt erfolgt; an die Stelle der Löschung tritt die Entscheidung über die Verlängerung der Schutzfrist nach § 10 Absatz 2 Satz 4.
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Schlussvorschriften

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§ 13
Regelungsbefugnisse

( 1 ) Das Landeskirchenamt regelt durch Verordnung
  1. die Benutzung kirchlicher Archive (Benutzungsordnung),
  2. die Erhebung von Gebühren und die Kostenerstattung bei der Benutzung kirchlicher Archive (Gebührenordnung),
  3. die kirchliche Archivpflege (Archivpflegeordnung).
( 2 ) Das Landeskirchenamt entscheidet über die Verkürzung oder Verlängerung der festgelegten Schutzfristen (§§ 10 Absätze 1, 2 und 4, 12 Absatz 2) sowie über die Einschränkung oder Versagung der Benutzung des Archivgutes (§ 11 Ziffer 1). Es kann diese Aufgaben auf das Landeskirchliche Archiv übertragen.
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§ 14
Personalakten

Die Bestimmungen der Personalaktenordnung bleiben unberührt.
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§ 15
Inkrafttreten

Dieses Kirchengesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. Zum gleichen Zeitpunkt treten die Ordnung für das Archiv der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 7. Dezember 1993 (KABl. 1994, S. 55), die Ordnung für die Benutzung kirchlicher Archivalien vom 13. April 1964 (KABl. S. 27) sowie die Ausführungsanweisung zur Ordnung für die Benutzung kirchlicher Archivalien vom 13. April 1964 (KABl. S. 28) außer Kraft.